Sellars: Der Empirismus und die Philosophie des Geistes
[Bachelor]
Kommentar: Wilfrid Sellars’ 1956 erschienener Aufsatz „Empiricism and the Philosophy of Mind“ markiert einen zentralen Wendepunkt in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie des 20. Jahrhunderts. Sellars richtet sich dabei kritisch gegen die Annahmen des klassischen Empirismus – insbesondere gegen die Vorstellung, dass Wissen auf einer unmittelbaren, nicht-konzeptuellen „Gegebenheit“ (sense data) beruhe. In seiner berühmten Formulierung bezeichnet er dies als den „Mythos des Gegebenen“, der eine epistemologische Illusion erzeugt: die Idee, es gebe einen Zugang zu Wissen, der unabhängig vom inferentiellen und normativ strukturierten Raum der Gründe sei. Die Lektüre ist anspruchsvoll, da Sellars sich in analytisch präziser, aber zugleich metatheoretisch reflektierter Weise mit Grundbegriffen wie Wahrnehmung, Rechtfertigung, Selbstbewusstsein und Sprachverwendung auseinandersetzt. Ein zentrales Argument besteht darin, dass selbst scheinbar „direkte“ Wahrnehmung nur in einem Kontext möglicher inferentieller Beziehungen verstanden werden kann – also in einem Raum, in dem Gründe gegeben und verlangt werden können. Damit ist jede Form der Erkenntnis, auch der perzeptiven, bereits durch begriffliche Strukturen vermittelt. Für die Lehrveranstaltung dient dieser Text als Schlüsselstelle zur Vermittlung eines modernen, anti-fundamentalistischen Erkenntnisbegriffs. Er stellt eine kritische Alternative sowohl zum klassischen Empirismus als auch zu Cartesischen Introspektionsmodellen dar. Darüber hinaus eröffnet er einen fruchtbaren Zugang zu späteren Debatten über funktionale Rollen, normatives Inferieren und die soziale Dimension von Geist und Sprache (u. a. Brandom, McDowell).
Ziele der Veranstaltung:
- Verständnis des „Mythos des Gegebenen“ und seiner Rolle in der Kritik an erkenntnistheoretischem Fundamentalismus.
- Rekonstruktion des Unterschieds zwischen kausaler und normativer Erklärung.
- Einführung in den Begriff des „Raums der Gründe“ als Alternative zu traditionellen empiristischen Begründungsmodellen.
- Diskussion der Rolle von Sprache und sozialer Praxis für die Konstitution geistiger Zustände.
Literatur, Textgrundlage: Sellars, Wilfried 1999 (engl. 1956): Der Empirismus und die Philosophie des Geistes. Paderborn: mentis.